Ich denke dieses Thema eignet sich sehr wohl durch die Kultur angesprochen zu werden.
Irina Pauls und ihr Team haben die breite Fassette der Pflegebedürftigkeit hervorragend umgesetzt. Sie bringen kritische Themen sehr gut auf den Punkt: Was geschieht zwischen zwei Menschen, wenn der eine pflegebedürftig wird und der Angehörige es nicht akzeptieren kann? Wie definiert sich dann z.B. eine Beziehung zwischen Mutter und Tochter oder zwischen Ehepartnern? Was ist wenn der Mensch zwar noch da ist, seine Seele aber allmählich durch Demenz geht?
„Pflegestufe IV“ beleuchtet eindrucksvoll die Gefühle der Pflegebedürftigen (Hilflosigkeit, Angst, Wut, Lebensfrust) und der Angehörigen (Sorge, Wut, Gefühlschaos). Weiterhin wird der Gesellschaft ein Spiegel aufgestellt. Der zu Pflegende wird zum Objekt, dass „bearbeitet“ werden muss. Die Situation in einem Pflegeheim wird sehr steril, hektisch und kalt dargestellt. Was wird aus den Pflegern, die immer mehr für immer weniger Geld arbeiten müssen? Was geschieht wenn Akten wichtiger als der Mensch werden? Wie gehen wir zukünftig damit um, dass immer weniger jüngere Menschen für immer mehr ältere sorgen. Wo bleiben Werte im Umgang miteinander?
Das Tanzstück spricht auch einen für mich wunden Punkt an: „Tanzen mit Senioren“. Als Kursleiter im Pflegeheim gehen ich sehr oft der Frage nach: Wo ist die Grenze zwischen liebevollem Aktivieren und Akzeptieren der „Lustlosigkeit“ der Teilnehmer. Eine Spanierin verwirklicht sich im Stück mit viel Temperament vor den alten Menschen. Diese können sich kaum noch auf den Beinen halten. Natürlich ist das künstlerische Übertreibung, aber gibt es das nicht auch in Kursen? Nur weil man meint etwas Gutes zu tun und damit der andere mich versteht, verfällt man z.B. in die kindliche Sprache. Es sind aber erwachsene Menschen, die ihr Leben gemeistert haben und einfach nur schlecht hören, sehen oder schlecht gelaunt sind! In der darauf folgenden Szene zeigen die Tänzer eine Choreografie mit den Rollatoren, die sich gewaschen hat. Neben der tänzerisch beeindruckenden Leistung, nehme ich für mich die innersten Wünsche eines alten Menschen wahr. Mag er äußerlich gebrechlich aussehen, so war er doch selbst auch einmal 20 Jahre und weiß noch wie es ihm damals ging. Ein Grund mehr darüber nachzudenken wie wir mit pflegebedürftigen Menschen umgehen. Was denken wir? Wie reden wir? Helfen wir wirklich?
Am Ende des Stückes wollte das Publikum nicht so recht applaudieren. Es passte irgendwie nicht, denn man war voll mit Gedanken und Gefühlen. Mir hat es noch mehr gezeigt, den Tag zu genießen und für die glücklichen Momente dankbar zu sein. Ein Entschluss wurde dabei verstärkt. Ich möchte auch weiterhin Menschen ehrlichen Sonnenschein geben, die vielleicht nicht mehr auf der Sonnenseite des Lebens stehen!
Silke Trzinka